Sonntag, 11. Mai 2008
Teil 1. Das Spiel. La partie. [Das Buch]
Vorwort:
Das Gleiche ist nicht Dasselbe. Das ist man sicher. Eine deutsche Biographie über die Kollektivschuld? Nein! Eher über die kollektive Unschuld? Das muss jeder selbst entscheiden. Man wird sehen. Eine Erzählung, die nicht bedrückend und anklagend sein will, sondern erfreulich offen, erfrischend und unterhaltsam sein möchte. Die aus dem Inneren erzählt, was draussen vor sich geht. Die den langsamen Weg der schüchternen Annäherung erzählen möchte. Die seltsame Auseinandersetzung mit der Schuld die zugleich auch eine Unschuld ist. Und welche Blüten diese so treibt. Die Schuld und/oder Unschuld. Die Unwissenheit über die Schuldfragen. Die Naivität im Umgang mit der Unschuld. So eine Art Romeo und Julia auf Länderebene. Eine francophile Familie in Deutschland. Eine francophile Familie in Frankreich. Der Ernst des Lebens, die beiden Seiten, sehr einseitig betrachtet. Ein Rückblick in die Begegnung zweier Kulturen, zweier Nachbarn, zweier Erzfeinde, zweier Geschichten die nicht enden wollen und immer weiter fortgeschrieben werden. Ein Rückblick, der zugleich einen Einblick über den Status gewährt und einen Ausblick zulässt. Zwei die sich am Ende lieben müssen. Sicherlich auch werden. Wenn genügend Gras über die Sache gewachsen ist. Wie die eigene Lebensgeschichte beweist. Damit es ein europäisches Happy-End auf der ganzen Linie gibt. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Helmut und Giscard. Helmut 2 und Francois. Die EU. Der G7 Gipfel. Völler in Frankreich. Alles wäre umsonst gewesen. Aus der einfachen Sicht des Spiels, dass nicht nur ein Spiel sein kann. Aus der einfachen Sicht eines Lebens. Aus der einfachen Sicht der Gegensätze, Beobachtungen und der daraus resultierenden Biographie. Deutschland : Frankreich. Und warum Gegensätze sich doch vielleicht anziehen. Warum Anziehendes sich so abstoßen kann. Deutschland will und braucht so dringend deine uneingeschränkte Liebe - Frankreich. So sehr. Stoß uns nicht zurück. Bitte zier dich nicht so. Stell dich nicht so an. Vergebe uns. Liebe uns. Denn wir wollen dich so gerne lieben. Denn, wenn Du uns lieben kannst, dann sind wir endlich befreit. Befreit von einer Schuld, die uns nicht loslässt. Denn wenn Du uns liebst, dann ist unsere Unschuld besiegelt. Nach nichts mehr sehnen wir uns. Also, das Spiel kann beginnen.
Das Buch:
Boule ist ein Spiel. Es ist doch nur ein Spiel würden einige – leichtfertig - mutmaßen. Weitestgehend, bis gänzlich kämen diese unwissenden Äußerungen sicherlich nicht von Franzosen. Pas du tout. Auf diese unbedachte Äußerung würde man einem Franzosen nur ein „Boche!“ entlocken. Das Kosewort der Franzosen für die barbarischen Deutschen. Die Bedeutung ist nicht ganz klar, sie liegt höflich ausgedrückt bei „Dickschädel“. Aber sie geht auch noch weiter, viel weiter. Boule ist ohne Zweifel ein französisches Spiel. Keine Ahnenforschung wird einen anderen Ursprung, als einen französischen, entdecken. Nicht wie Backgammon, dass schon 7.000 Jahre vor den Zockern in den Cafés im sandigen Ägypten ganze Dynastien eventuell ruiniert hat. Keine Höhlenmalerei in Australien, die kleine Männer mit Kugeln um sich werfend zeigen. Nichts. Geboren, gewachsen, gespielt und gestorben in Frankreich. Der Todestag muss somit der aller letzte der Zivilisation sein. Oder ein missglückter französischer Atomversuch. Oh, la, la. Das jüngst Boulegericht so zusagen. Boule ist ein Nationalsport. Habe ich aus Versehen „ein“ gesagt? Falsch! Ich meinte natürlich „der“ Nationalsport. Wenn Frankreich eine unbemannte Raumkapsel ins all schießen würde, auf dem Weg in ferne Galaxien, mit den wichtigsten weltlichen Botschaften für das Universum. Dann lägen da hundertprozentig 3 nagelneue Sätze polierter „Obut Match plus“ Kugeln drin. Das Spiel das man ohne weiteres nicht wirklich zu den klassischen Sportarten zählen kann. Darf? Soll? Muss? Diese Formulierung ist zugegebenermaßen grenzwertig. Aber es geht nun mal nicht anders. Was man unter anderem daran erkennt, dass man noch nie eine Begegnung im Fernsehen hat verfolgen können. Nicht mal die Boule Weltmeisterschaften flimmern über Eurosport. Und in diesem Restsportweltverwertungskanal, da kann man sogar Snooker, Criket, Pokern, Mister Universum und Monstertrucks sehen. Aber eine Boulekugel rollte da noch nie durchs 4 zu 3 geschweige 13 zu 9 Bild. Nicht mal in Mono. Sogar auf Arte oder 3 SAT könnte man ja mal eine Kultursendung „Boule“ erwarten. Nichts. Gar nichts. Curling kann man da stundenlang bewundern, Kegeln und Bowling. Aber ein kleines rotes Schweinchen, habe ich da noch nie im Dreck liegen sehen. Um eine anerkannte Sportart zu sein, dazu gehört für Viele schon, neben Sponsoren und Medientauglichkeit, weit aus mehr. Jedes noch so kleine und unscheinbare Dorf in Frankreich hat seinen Bouleplatz. Natürlich mitten im Herzen des Dorfes gelegen.
Wo sonst? Bouleplätze sind weiter verbreitet, viel weiter als ein bespielbarer Fußballplatz, in Frankreich. Die Summe der Kirchen und die der Boulplätze sind sicherlich gleich groß. Wenn nicht, gibt es bestimmt noch mehr Bouleplätze als Kirchen. Die geografisch ideale Lage eines Bouleplatzes ist nicht unbedingt von den Boden- oder Lichtverhältnissen abhängig. Der ideale Bouleplatz ist in direkter Umgebung zu alkoholischen Kaltgetränken gelegen und einer Toilette. Denn Boule dauert lange. Und wer viel trinkt, der muss auch mal austreten. Um das Spiel nicht länger zu unterbrechen als nötig, muss die Toilette in unmittelbar Nähe auf zu finden sein. Somit ist die biogeografische Lage für die ideale Lage eines Bouleplatzes ausschlaggebend. Zentral muss er sein. Für alle schnell und leicht zu erreichen. Um den Heimweg, im Schlaf hinter sich bringen zu können. Wie Golf oder Schach, sagt man Boul aber nach, das es kein richtiger Sport sei. Man tut sich schwer, dass als einen Sport anzusehen. Ein Sport mit häufiger dicken und eher älteren Menschen, scheint nun mal in der Akzeptanz kein typischer Sport zu sein. Sport ohne schwitzen, treten, Verletzungen, grätschen, anbrüllen, Ausdauer, Kraft und endloses Mühen. Keine Trikots. Das ist für viele kein Sport. Nicht mal Doping hat bei Boul einen Sinn. Es gibt auch keine Boule Stadien mit VIP Lounge. Ganz Frankreich sieht das mit der Sportdefinition sicherlich ganz anders. So wie die Franzosen im Gegensatz zum Rest der Welt, vieles ganz anders sehen. So wie die Amerikaner den Jazz haben, haben die Franzosen ihr Boul. Wir deutschen haben keinen Jazz und kein Boul. Was aber nicht weiter schlimm ist. Wir haben dafür andere Dinge. Und können den Jazz und das Boule ja theoretisch importieren. Was zwar nicht dasselbe ist, aber was soll man machen. Es ist also nachweislich kein Nationalsport, sondern eine Nationalkultur. Bei der jeder mitmachen kann, wird und muss. Ob es wohl Franzosen gibt die zeitlebens nie eine Boulekugel in ihren Händen gehalten haben? Bestimmt wird das Boulspiel eines Tages als Weltkulturerbe deklariert. Gibt es einen Amerikaner der nie eine Jazz-Note gehört hat? Wohl kaum! Oder zumindest mir unvorstellbar. Das wäre ja so, als ob ein Deutscher bis zu seinem Ableben, nie ein erfrischendes Bier bei brütender Hitze wie einen kühlen Gebirgsbach seine ausgetrocknete Kehle hinunter gestürzt hätte. Oder Zeit seines Lebens nie einen
Fußball mit seinen Fußspitzen berühren würde. Boule ist eigentlich ein ganz einfaches Spiel. Wie Jazz-Noten ebenfalls, eigentlich sehr einfach sind. Die Betonung liegt auf „eigentlich!“ Man wirft eine größere Kugel in die Nähe einer kleineren Kugel. Das war’s. Aber einfach ist auf den ersten Blick vieles. Etwas völlig anderes ist das, was der Mensch aus „einfach“ alles macht. Gerade Dinge die mit dem Attribut „einfach“ bezeichnet werden, sind oft hoch komplex. Und anders herum. Alles was man anderen als hochkomplex verkaufen will, ist meist diletantisch einfach. Was also mit der simplen Beschreibung – Einfach – beginnt, endet im völligen komplizierten, viel- und tiefschichtigen Gegenteil. Das klingt nicht nur paradox, es ist es auch. Wenn man in einer fremden Stadt jemanden nach dem Weg fragt. Und der beginnt seine Erklärung mit den Worten:“ Ach, das ist ganz einfach...“ Dann weiß der geübte Frager doch sofort, dass es jetzt brutal kompliziert wird. Und man am zigsten, „dann einfach Rechts und dann einfach Links, da einfach drüber und da einfach drunter“, schon 20 Kreuzungen zuvor geistig ausgestiegen ist. Weil man der einfachen Beschreibung bei bestem Willen nicht folgen konnte. Aber man wegen der guten Erziehung bis zum Ende „der wohl einfachsten Wegbeschreibung der Welt“ dem Gefragten zuliebe ausharrt. Sich so alle zwei Straßen weiter erneut durch fragt. Bis man es ans Ziel geschafft hat. Dieses arglose und dabei so entlarvende „einfach“ wird nur noch von einer unbedacht und viel zu häufig geäußerten Äußerung übertroffen, dem „kein Problem!“ Wenn Handwerker, oder wen man auch immer mit etwas beauftragt, sagt: „Kein Problem!“ dann weiß man, dass man ganz tief in der Scheiße steckt. Kein Problem heißt in der wörtlichen Übersetzung nämlich: „Davon hast du keinen blassen Schimmer und ich nehme dich jetzt aus wie eine Weihnachtsganz und du kannst nichts dagegen tun!“ Auch für Boule gilt, im Prinzip ist es ein ganz einfaches Spiel. Das lernt jeder „kein Problem!“ Wissen sie warum alle vom ersten Golftraining überglücklich zurückkommen. Weil der Trainer allen und jedem bescheinigt, dass er ein Naturtalent sei. Das würde er sogar einem Hund mit auf den Weg geben, wenn der einen Golfschläger in den Pfoten halten könnte. Wer will das nicht gerne hören? Nur so verdient sich der Golflehrer eine goldene Nase und auf dem Golfplatz hauen ein „Paar“ mehr Grobmotoriker maulwurfsgroße Hügel aus dem edlen Rasen.
Im sicheren Bewusstsein, sie hätten Talent und Begabung zugleich. Beim Boule geht das nicht so einfach. Denn man sieht selbst und die Mitspieler sehen es ebenfalls und obendrein das herumstehende Publikum sieht alles sowieso. Nämlich, dass der Grossteil der Kugeln nicht das macht was man eigentlich wollte, oder tun müsste. Noch schlimmer, sie liegen in einer Entfernung zum eigentlichen Ziel, dass man glauben könnte, da spielt jemand ein anderes Spiel. Vielleicht gibt es deshalb keine reichen Boulelehrer, wie es reiche Golflehrer wie Golfbälle im Teich gibt. Oder gibt es überhaupt Boulelehrer? Ich habe noch nie einen gesehen. Geschweige denn, von einem gehört. Vielleicht ist das ja eine Marktlücke? Boulekurse. So mit blitzblanken Kugeln. Gruppen Training. Und Einzeltraining. Legeübungen und Schussübungen. Konzentrationsübungen. Technische Übungen. Theorie darf auch nicht fehlen. Regeln, Regeln und noch mal Regel pauken. Mentales Training. Komische Vorstellung. Kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Aber die WC Ente, den Zauberwürfel, das Tamagotchi und das EPS System konnte ich mir auch nicht vorstellen. Boulelehrer will ich mir auch nicht wirklich vorstellen. Man lernt es vom Vater, oder vom Opa in Frankreich. In Deutschland von einem völlig frankophilen und überdrehten Platzhirschen. Der jedem Neuen das Spiel aufzwingen muss. So eine Art Träger des Boule- Virus. Der jeden in seiner nähe infizieren muss. Wie so plötzliche Nichtraucher, die einem Tag ein Tag aus erklären, um wie viel ihr Leben jetzt besser ist ohne Zigarette. So erklären die Platzhirschen um wie vieles ihr Leben besser ist, seit dem sie Boule spielen. Meine Vorstellungen vom Boule sind vor langer Zeit ins Rollen gekommen. Boule ist mir das erste Mal richtig mit 10 Jahren, natürlich in Frankreich, persönlich begegnet. Wo auch sonst? Man kann nicht in Frankreich gewesen sein, ohne das Spiel bemerkt zu haben. Das ist so unmöglich wie drei Wochen durch Paris laufen und nie den Eifelturm gesehen zu haben. Oder 4 Wochen Urlaub und nie ein Stück Baguette abgebrochen zu haben. Sicherlich habe ich es zuvor schon mal gesehen. In Paris, oder anderswo in Frankreich. Denn wir waren zuvor schon zwei Mal im Frankreichurlaub. Auf Entschädigungstournee. Wir waren so eine Art frühe Kelly Familie, ebenso laut und auf Wiedergutmachungsreise quer durch Frankreich.
Aber wir sind bei weitem nicht so groß raus gekommen, lag vielleicht an den Haaren, zudem weil wir nur einen Urlaub pro Sommer hatten. Es erscheint mir daher rückblickend als ausgeschlossen, dass in den Urlauben zuvor, da nie irgendwo eine Boulekugel herum gelegen haben soll. Unterm Eifelturm? Sicher! Aber ich habe ihm, dem Spiel, bis dahin noch nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen können. Da waren andere Eindrücke, die es galt zu verarbeiten. So habe ich in Paris als kleiner Junge miterleben müssen, wie die alten Jugendstil Markthallen abgerissen wurde. Sie mussten weichen für ein modernes Einkaufszentrum – Les Halles. Bausünden der 70er also auch in Frankreich. Schon damals kam mir das als ein weit größerer Verlust vor, als ein Gewinn für die Stadt. Mein Gefühl hat sich bis Heute bestätigt und bewahrheitet. Das einzige Stück Paris, so wie ich es in meiner Kindheit erleben durfte, finde ich Heute nur noch in St. Germain-des-Prés. Oder auf der Rückseite des Montmatre. Alles Andere ist mir fremd. Die Autobahngebühren – Péage – sind mir bis Heute als unverschämt in Erinnerung. Warum Geld für Strassen bezahlen? In Deutschland war das alles umsonst. Hier wiederum muss ich mit Blick auf die Straßenqualitäten und die Raststätten einen Irrtum einräumen. Für das Geld bekommt man in Frankreich mehr Mobilität auf hohem Niveau geboten. Was in Deutschland im Laufe der Jahre immer maroder wurde. Was haben wir uns über die Schlaglöcher in der ehemaligen DDR echauffiert. Und jetzt sehen unsere Strassen aus wie die damals im Osten. Somit scheint die Péage ihr Geld wert zu sein. Keine Staus, traumhafter Asphalt und exzellente Tankstellen. Über die Péage ging es auch zu meiner ersten intensiven Begegnung mit dem Boulespiel. Das geschah wie gesagt erst in Vieux Beaucoup am Atlantik im Sommer 1976. Das ist ein kleiner Ort. Die wenigsten kennen ihn. Deshalb lohnt es auch nicht ihn näher zu beschreiben. Sonst klingt das so wie in diesen Radiosendungen: „Woher kommen sie?“ Aus Etterschlag!. Wo ist Etterschlag? Bei Grafrath! Wo ist Grafrath? Das liegt direkt bei Inning. Ach ja und wo liegt Inning? An der A 96. Was ist die A 96. Die Autobahn nach Lindau! So, so. Also liegt Etterschlag zwischen Lindau und München. So kann man es auch beschreiben. Ähnlich erging es Vieux Beaucoup. Deshalb, lass ich es.
Wir waren im Sommerurlaub. Drei Wochen. Deutsche Familie. In Frankreich. In Ferienhaus. Ich, der Jüngste. Meine 4 Geschwister und meine Eltern natürlich. Mit dem Auto über Paris, Portier, an Bordeaux vorbei Richtung Dax und dann ab ans Meer. Ich weiß nicht mehr wer das Meer zu erst entdeckt hat. Aber ich weiß das ein beliebtes Spiel im Auto war: „Wer sieht zuerst das Meer?“ Und hinter jeder Kurve schrie einer „da!“ mit dem Ergebnis das es nur der Himmel am Horizont war, ein See war, oder ein Feld. So ging dies über Stunden. Und die Zeit verging wie im Flug. In 2 Tagen waren wir da. Aus 14 Grad Nieselregen in 28 Grad Sommerhitze. Ich erinnere mich noch gern an den Geruch und das warme Gefühl, wenn man an den Tankstellen im Süden aus dem Auto kletterte. Und man sich immer mehr der Klamotten entledigte. Immer mehr Sand unter den Füssen hatte. Orangina statt Capri Sonne. Das war der überzeugende Beweis, dass die weit verregnete Heimat hinter einem lag. Und jede Menge Urlaubsabenteuer vor einem. Die letzten Boten des Meeres waren die Korkeichen. Und natürlich die Dünen. Wir sind zu siebt in einem Auto gereist. Mit Sack und Pack. Ohne Sicherheitsgurte. Ohne Nackenstützen. Ohne Navigationssystem. Ohne Seitenaufprallschutz. Und der Begriff Airbag war auf lange Sicht noch nicht einmal erfunden. Das einzige Sicherheitsmerkmal, das einen zur damaligen Zeit begleitete, war der Vater. Der sich völlig und ausschließlich darauf konzentrierte, uns alle heil hin und ganz wieder zurück zu bekommen. Aus heutiger Sicht ein wahres Wunder, dass wir überhaupt angekommen sind. Mir wurde immer schlecht beim Autofahren. Kein Wunder, bei solchen Reisebedingungen. Ich glaube, es war ein Peugeot 505. Grün. Mit Schaltung hinter dem Lenkrad. Oder so was Ähnliches. Zu der Zeit konnte ich Autos noch nicht so auseinander halten wie Heute. Obwohl es Heute auch immer schwerer wird. Es waren noch „nur Autos“ für mich. Große und kleine. Rote, gelbe und grüne. Meine Eltern kann man getrost als francophil bezeichnen. Eine damals weit verbreitete Krankheit in deutschen Haushalten. Eigentlich mehr ein Syndrom oder ein Trauma. Aber ich bin zu wenig Arzt, um eine genaue Diagnose zu erstellen.
Offensichtlich infiziert von der jüngeren deutschen Geschichte, gab es unübersehbar den inneren Wunsch auf so eine Art Wiedergutmachung. Entschuldigung. Freundschaft. Gute Nachbarschaft. So, als ob man einem Freund eine Beule ins Auto gefahren hätte. Ihm das nicht eingestehen kann. Und einem seitdem das schlechte Gewissen plagt. Das so dermaßen plagt, dass man ständig auf Wiedergutmachung aus ist. Man neigt dazu den Anderen zu übervorteilen. Ihm in allem zu nachsichtig zu sein. Die Schuld entschuldigt alles. Somit neigt das Opfer manchmal dazu zu übertreiben. Oftmals reicht eine aufrichtige Entschuldigung. Somit reichte damals fast ganz Deutschland seinen angrenzenden Ländern die schuldigen Hände. Von wegen, man kann seine Hände nicht Deutschland. Sogar im Land von Persil, Priel und Palmoliv bleiben Reste der Schuld unter den Nägeln auf ewig zurück. Mir, also meiner Familie, brannte speziell Frankreich unter den Nägeln. Somit gerät jede Frankreichreise, zu einer Pilgerfahrt. Auf den Spuren einer Wiedergutmachung für etwas, was ich nicht miterlebt habe. Meine Eltern nicht verschuldet haben. Aber so ist das nun mal bei Krankheiten. Die sucht mach sich ja nicht aus, sondern die bekommt man gratis. Übertragen so zusagen. Diese Art der einseitig wohlwollenden Begegnungen wurde den Amerikanern und Russen nicht zu Teil. Da habe ich keine Hand von unserer Seite gesehen. Cola war verpönt. Alles amerikanische, sogar Ketchup war nicht wirklich willkommen. Aber ganz ohne ging es auch nicht. Bis auf eine Sache. Der Jazz. Aber der wird wohl Thema meines zweiten Buches sein müssen. Das hat er sich verdient. Somit näherte man sich der nachbarschaftlichen Annäherung unter anderem im Urlaub an. Einmal den Fuß der Schuld auf Frankreichs Mutterboden gesetzt, fängt das Syndrom jetzt erst mal richtig an, sich ordentlich Platz im Gedankengut zu verschaffen. So ein ordentliches, unbegründetes und unklares Schuldgefühl muss auch genährt und versorgt werden. Sonst droht es zu verkümmern. Aber die Allianz der Befreier hat da ganze Arbeit geleistet. Sicherlich ungewollt. Denn wer will schon Generationen mit etwas belasten, dessen Ursprung die nicht mal mehr ersehen oder verstehen können.
Man kann das mit Uli Höness vergleichen. Der hat mal zu seiner aktiven Zeit als Fußballer, den entscheidenden Elfmeter im Endspiel einer Europameisterschaft nicht verschossen, das wäre gelinde ausgedrückt, sondern fulminant im Nachthimmel versenkt. Das man getrost noch Heute davon ausgehen kann, dass sich dieser Ball in einer geostationären Umlaufbahn im Tempo der Erddrehung über unser aller Häupter bis zum jüngsten Gericht mit bewegt. Das spürt auch Uli Höness. Dieser Ball ist wie der Nordstern. Er ist immer da. Auch wenn Wolken davor sind. So weiß Ulli, dahinter leuchtet er. Der Elfmeterball. Mit diesem Schuldgefühl, der selbst verschuldeten und versauten Europameisterschaft ist er seitdem auf Wiedergutmachungstour in Sachen deutscher Fußball. Was zur Folge hat, dass die Bayern fast alles gewinnen. Und der Verein wohl der am besten geführte ist. Und wenn jemand denkt, Mensch Uli nun reicht es aber. Nein, dass Ding fliegt bis zum letzten Atemzug über die Querlatte von Uli hinweg. Da kann man mal sehen, was so ein kleiner Fehltritt für große Auswirkungen hat. Nun nehme man sich mal den größten Fehltritt bis jetzt seit Menschen Gedenken. Das Dritte Reich. Jetzt lässt sich langsam erahnen, wie viele Ulis in Deutschland leben. Und wie viele auf Wiedergutmachung bedacht sind. Ich habe damit kein Problem mehr. Denn ich habe so Frankreich von einer Seite kennen gelernt, das zu einer Seite in mir geworden ist. Keine Belastung, keine Schuld, sondern ein positiver Auftrag der Menschlichkeit begeleitet mich, als Deutscher. Das ist doch was. Deshalb macht es mich auch besonders stolz, dass wir uns beim Irak Krieg rausgehalten haben. Und die Franzosen an unserer Seite. Alle sind den Superdemokraten und extrem freiheitlichen förmlich in den Allerwertesten gekrochen. Und haben eine Allianz der Ignoranz gegründet. Wir haben einfach „nein“ gesagt. Besser unser Kanzler zu dieser Zeit. Nicht alle waren dieser Überzeugung, aber zum Glück diejenigen die etwas zu sagen hatten. Noch besser, die etwas zu entscheiden hatten. Die Allianz bekommt jetzt jeden Tag ihre Freiheitskämpfer in Einzelteilen und Plastiksäcken im Laderaum von Flugzeugen zurückgeschickt. Was für viele unbedacht nur ein Krieg war, ist nun zu dem Krieg geworden. Wecken sie mal um drei Uhr früh Uli Höness auf und schreien sie ihm ins Gesicht: Elfmeter. Was glauben sie, was dem da zu erst in den Sinn kommt.
Mit diesem „nein, sind wir unserer eigentlichen „Schuldrolle“ voll und ganz gerecht geworden. Der Rolle der positiven humanitären Verantwortung für immer. Eine schöne Rolle. Finde ich viel besser als die des Aggressors, des Mitläufers oder vielen anderer Rollen. Und wir haben unsere humanitäre Position gegen jeden Widerstand verteidigt. Die Freundschaft stand auf dem Spiel. Wir drohten aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden. Heute sitzen da eine Reihe von Verantwortlichen, die alle in einer stillen Stunde denken: „Hätte ich mich da besser raus gehalten.“ Somit hat mein Leben als Deutscher Ausländer im Ausland einen besonderen Sinn. Als wenn ein Spanier nach Schottland fährt. Oder ein Schwede nach Griechenland. Türken und Griechen könnten noch wissen, was ich meine. Religionen unter einander [...Nächste Seite]
Runde Grüße
Bernd