Das Matterhorn-Prinzip
Wenn etwas unverwechselbar ist. Wenn etwas einzigartig ist. Wenn etwas die Alpha-Beschaffenheit einer ganzen Gattung ist. Wenn etwas weltbekannt ist. Wenn etwas eine spürbare Magie inne hat. Wenn etwas einen so in seinen Bann zieht. Wenn etwas so beeindruckend ist. Wenn etwas so eine Anziehungskraft hat. Wenn etwas keinem gehört. Wenn etwas da ist und niemandem die Rechte dazu gehören. Wenn etwas nicht zu schützen und zu verstecken, geschweige denn zu verbergen ist. Dann wollen alle damit vor allem eins: Geld verdienen.
Und wenn alle damit Geld verdienen wollen. Dann machen Sie damit auch alles. Von sinnvoll bis sinnlos.
Das Matterhorn ist diesem Schicksal ausgeliefert. Kein Berg der Welt ist häufiger zitiert worden. Denn es ist der Berg. Alles andere sind die Berge, er ist der Berg. Kein Berg definiert die Idee der Berge so vollkommen in seiner Form. Deshalb haben die meisten Menschen, wenn sie an Berge denken, das Materhorn vor Augen.
Leider kann man dieses Naturwunder nicht schützen. Es wird gebraucht und missbraucht. In der Verwendung seines Antlitz gibt es keine Grenzen. Kaum etwas ist den niedrigen Begehrlichkeiten der modernen Konsumgesellschaft so ausgeliefert wie das Matterhorn. Es ist nackt. Es kann sich nicht wehren. Nicht ganz.
Jedes Jahr lässt eine nicht geringe Zahl von Menschen ihr Leben an den Wänden des Matterhorns. Weil ihnen die Demut fehlte. Vor diesem Berg der Berge. Weil sie ihn schnell mal erobern, besteigen wollen. Er schubst diese Menschen nicht in den Tod, nein, der Mensch steigt freiwillig auf in den Tod.
Das Matterhorn hat eben kein leichtes Leben. Man sollte der Schweiz das Urheberrecht am Berg geben, und alle, die das Antlitz verwenden, müssen dafür Rechte zahlen und dieses Geld geht an die Natur. So könnte man ihr was zurückgeben.
Und wer jemals auf die Idee kommt sich im Schnee mit einem Bernadiner am Matterhorn fotografieren zu lassen, dem sei gesagt, der Hund hat ganz üblen Mundgeruch. Das ist die Strafe.
Es ist der wohl schönste Berg der Welt, er hätte Besseres verdient, als diese Art der Ausbeutung. In seiner Nähe verweilen zu dürfen, auf Sichtweite ist mystisch. Glaubt mir. Er hat was, was kein anderer Berg hat. Das spürt man.
Text: Christof Hintze Fotos: Peter von Felbert
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